Positionspapier :   Wassersensible Straßenraumgestaltung

Überflutete Straße aufgrund von Starkregenereignis in Bonn mit überlasteter KanalisationDie Folgen des Klimawandels nehmen zu und treffen Städte wegen ihres hohen Versiegelungsgrades am härtesten. Längere Hitze- und Trockenperioden gefährden das Stadtgrün und werden durch urbane Rahmenbedingungen, verdichtete und versiegelte Böden, eingeschränkte Wurzelräume mit gestörtem Bodenlufthaushalt, geringes Wasserangebot und Hitzestau verstärkt. Demgegenüber stellen Starkregenereignisse eher ein Problem der dezentralen Regenwasserbewirtschaftung dar, die wegen immer öfter überschrittener Kapazitätsgrenzen der Kanalisationssysteme vor extremen Herausforderungen steht. Als Konsequenz müssen allerorts rasch potentielle Speicher- und Versickerungsräume erschlossen werden.

Versiegelung HafenCity DSCN1827korr 1000x750sEin wesentlicher Auslöser dieser Problematik ist die über Jahrzehnte und noch immer zunehmende Versiegelung der Städte. Gerade die Grünflächenämter fordern seither eine Umkehr und die Entsiegelung von Freiflächen. Doch nun geraten mit den Grünflächen und Straßenbaumstandorten ausgerechnet die wenigen noch unversiegelten Flächen als Retentionsräume in den Fokus der Siedlungswasserwirtschaft und sollen für den Bau von Versickerungsmulden oder Speicheranlagen in Anspruch genommen werden. Seitens der Stadtplanung und der Politik wird die Nutzung von Baumstandorten für die Versickerung mit Hochdruck vorangetrieben, da man sich dadurch eine win-win-Situation verspricht, die einerseits Starkregenfolgen abmildern und andererseits Trockenstress der Bäume vermeiden soll. Leider fehlte zumeist eine frühzeitige Begleitung durch Baumfachleute, um auch den bestehenden, fachlichen Bedenken gerechtzuwerden.
Anstelle des engen Blickes auf Baumpflanzungen bieten all diejenigen Flächen, die einen erheblich größeren Teil unserer Städte einnehmen, deutlich effizientere Möglichkeiten, Regenwasser dezentral zu versickern. Diese Parkplätze, Veranstaltungsflächen, Gehwege oder wenig befahrene Straßen könnten versiegelungsfrei gebaut oder zu multifunktionalen Flächen umgestaltet werden und entfalten so ein großes Potential für die wassersensible Stadtentwicklung. 

Das nun vorgelegte Positionspapier soll den laufenden Prozess aus Baumsicht beleuchten und damit das vorhandene Fachwissen für die öffentliche Diskussion zur Verfügung stellen.

StrBaum unter Druck Hofweg Foto Doobe 2019 400x823Bauliche Eingriffe in den Wurzelraum sind häufige Ursache für absterbende BäumenVor allem Straßenbäume haben extreme Lebensbedingungen und erreichen oft nur einen Bruchteil ihrer natürlichen Lebenserwartung. Wegen ihrer unschätzbaren Bedeutung für das städtische Klimafolgenmanagement dürfen sie nicht mit zusätzlichen Funktionen belastet werden. Die Städte benötigen zwar großvolumige Retentionsräume, dezentrale Versickerungsanlagen dürfen aber nicht mit den Wurzelräumen des Baumbestands konkurrieren und müssen außerhalb der für Straßenbäume vorgesehenen Standorte realisiert werden. Da vor allem Altbäume sehr empfindlich auf Standortveränderungen und Wurzelverletzungen reagieren, ist jegliches bauliches Eingreifen in ihren Wurzelraum für Vorrichtungen zur Aufnahme von überschüssigem Wasser auszuschließen. Stattdessen müssen ihre Standortbedingungen auf baumspezifische Anforderungen hin optimiert werden. 

Aufbau, Pflege und Erhalt der städtischen Baumbestände stellen bereits für sich genommen eine große Herausforderung für die Grünverwaltungen dar. Deshalb steht für diese Aufgabe auch nicht die „Hydrologische Optimierung“, sondern die Optimierung der „nutzbaren Wasserspeicherkapazität“ und der grundsätzlichen Wuchsbedingungen im Vordergrund.

Streusalzeinsatz Foto Doobe 2013 800x600Mit Streusalz belastetes Straßenabflusswasser darf nicht in die Wurzelräume von Straßenbäumen geleitet werdenWasserwirtschaftliche Konzepte wie „Baum-Rigolen“ sind interessensgebunden und werden den komplexen Anforderungen einer nachhaltigen Baumgrube nicht gerecht. Schon die Betrachtung potenzieller Streusalzeinträge aus dem Winterdienst offenbart die erheblichen Defizite. Nach wie vor werden europaweit alle denkbaren technischen Vorkehrungen erprobt, um salzhaltiges Schmelzwasser von den Straßenrandböden fernzuhalten, denn die Folgeschäden für den Baumbestand sind unbestritten. Vor dem Hintergrund solcher Langzeiterfahrungen klingen die Pläne aus der Regenwasserbewirtschaftung erschreckend, bei Starkregenereignissen das Niederschlagswasser ohne Rücksicht auf den winterlichen Streusalzeintrag von der Straße in Vegetationsflächen oder direkt in die mit Rigolen verbauten Wurzelräume von Straßenbäumen einzuleiten.

Rigole ohneBaum Foto Melzer 2023 400x278Tiefbeet-Rigolen zur Starkregenvorsorge sollten stets räumlich getrennt von Baumstandorten realisiert werden. Wenn Oberflächenwasser in großer Menge gezielt in die Baumgrube eingeleitet wird, kann der Wassereinstau in Mulden und Rigolen folgenschwere Staunässe mit Sauerstoffmangel verursachen und ist aus baumfachlicher Sicht vollkommen inakzeptable. Das gilt ebenso für die Schadstoffanreicherung aus dem KFZ-Verkehr und dem Winterdienst. Im Hinblick auf den Baumbestand müssen Versickerungseinrichtungen deshalb außerhalb von Baumstandorten realisiert werden, damit sie nicht mit den Wurzelräumen der Bäume konkurrieren und erhebliche Schäden verursachen. Gefragt sind stattdessen kontrollierte Bewässerungsmöglichkeiten aus Reservoiren, die aus unbelastetem Oberflächenwasser gespeist werden, aber außerhalb der Wurzelräume liegen.

 

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Direkte Folge von Staunässe bei Koelreuteria paniculata auf der Versuchsfläche des Forschungsprojektes BoBaSt/Hamburg. Vitalität vor Überflutung (Juni 2020), erste Welke nach Überflutung (Juli 2020), Abwurf aller Blätter (August 2020) und Notaustrieb (September 2020). (Fotos: Alexander Schütt, Hamburg)

Baumgraben Riem Aufgrabung2005 800x600kUntersuchung in einem durchgehenden Baumgraben nach Münchner Standard (ZTV-Vegtra-Mü, 2018) zeigt nach ca. 5 Jahren eine optimale Durchwurzelung. (Foto: Leander Wilhelm, München)Grundsätzlich müssen die Baumpflanzungen mit großräumigen Gruben, besser noch Pflanzgräben, optimiert werden, wie es die „grünen“ Regelwerke vorgeben, damit die Bäume optimale Lebensgrundlage finden und sich langfristig aus eigener Kraft mit Wasser versorgen können. In Verbindung mit einer Erweiterung des Artenspektrums muss der städtische Baumbestand schrittweise hin zu mehr Resilienz gegenüber den zunehmenden Herausforderungen des Klimawandels ertüchtigt werden. Auf diese Weise leisten Bäume einen eigenständigen, erheblichen Beitrag zum Klimafolgenmanagement, indem sie über Transpiration und Schattenwurf dem urbanen Wärmeinseleffekt und - bei offen gestalteten Baumscheiben - der bestehenden Flächenversiegelung entgegenwirken. Baumschutz stellt letztendlich auch für die Stadtbewohner einen wesentlichen Bestandteil der Gesundheitsvorsorge dar.


Das nun herausgegebene GALK-Positionspapier hat den Titel ‚Wassersensible Straßenraumgestaltung – Versickerungsanlagen sind keine Baumstandorte‘ und wird im GALK-Internetportal zum Download bereitgestellt.

Der Flyer kann auch in gedruckter Form bei der GALK-Geschäftsstelle bezogen werden.

GALK-Geschäftsstelle
Friedensplatz 4
D-53111 Bonn
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