Wahlwerbung an Straßenbäumen: Ein fragwürdiger Brauch

Deutschland wählt am 23. Februar und der Bundestagswahlkampf geht in die Schlussphase – in Hamburg wird sogar noch einmal im März ein Landesparlament gewählt. In Wahlkampfzeiten ist die Wahlwerbeplakatierung an Straßenbäumen ein allgegenwärtiges Phänomen. Doch was auf den ersten Blick wie ein legitimes Mittel der politischen Kommunikation erscheint, wirft bei genauerer Betrachtung einige kritische Fragen auf – sowohl in ökologischer als auch in gesellschaftlicher Hinsicht.

Plakatierung 02 Doobe2018 500x667Abb. 1: Alteiche in Hamburg mit dicker Borke, die Werbeträgern trotzten kann. Foto Doobe, 2018Bereits der Begriff Wahlkampfzeit assoziiert, dass hier Schlachten zu erwarten sind - Materialschlachten im Kampf um jede nutzbare Stelle im öffentlichen Raum. Große Anziehungskraft scheinen die im Straßenraum allgegenwärtigen Straßenbäume zu besitzen. Sie sind ohnehin schon zahlreichen Stressfaktoren ausgesetzt – Hitze, Trockenheit und mechanischen Belastungen durch Tiefbau und Straßenverkehr. In Wahlkampfzeiten kommen falsch ausgeführte Plakatierungen hinzu und schädigen den Baumbestand wiederkehrend und oft folgenschwer. Besonders gefährdet sind junge Straßenbäume, deren Stämme noch sehr empfindlich sind, oder solche Baumarten, die keine ausgeprägte Borke besitzen.

Die Art der Befestigung von Wahlplakaten hat sich in den letzten 15 Jahren unter dem Druck der Grünflächenämter und ihrer Forderungen zum Baumschutz gewandelt, kann aber nach wie vor in unterschiedlicher Weise zu erheblichen Rindenverletzungen führen.

Plakatierung 01 Doobe2018 400x530Abb. 2: Holzrahmen hinterlässt deutliche Wunden. Foto Doobe, 2018Plakate auf kantigen Holz- oder Metallrahmen bergen erwartungsgemäß die größten Verletzungsrisiken, wenn sie an den Stämmen befestigt werden. Sie können über die Zeit tiefe Schürfwunden verursachen (Abb. 2) und auch die Befestigungsdrähte bergen eigene Risiken.

Plakatierung 03 GrBergstr Doobe2015 400x300Abb. 3: Kabelbinder direkt um den Stamm; ein no go! Foto Doobe, 2015Mit dem Wechsel zu leichteren Ausführungen der Plakate aus Pappe oder Kunststoff sind sehr bald die Befestigungen mit Kabelbindern zum Hauptproblem geworden. Besonders problematisch erweisen sich direkt um den Stamm von Jungbäumen befestigte Kabelbinder (Abb. 3).
Sie verletzen die Rinde unmittelbar, schnüren den Baum ein und beeinträchtigen so die Nährstoffversorgung und das Wachstum.

Plakatierung 04 Fasanenweg Muehlenbrock 400x533Abb. 4: Resultat aus Materialschlacht und verantwortungslosem Handeln. Foto Mühlenbrook, 2015Nach der Wahlkampfzeit werden die nun sinnentleerten Plakate oft nicht fachgerecht entfernt oder sie wurden schon vorher zerstört, sodass die Kabelbinder an den Bäumen zurückbleiben (Abb. 4), im Verlauf ihres Zuwachses in die Rinde einwachsen und die betroffenen Bäume schließlich abwürgen.

Plakatierung 05 Doobe2025 400x533Abb. 5: Schilder ohne direkte Befestigung am Stamm. Foto Doobe, 2025Inzwischen haben die Parteien vielerorts ihre Methoden umgestellt und nutzen häufiger Lösungen, bei denen jeweils zwei oder mehr Werbeschilder den Baum umschließen und nur aneinander befestigt werden (Abb. 5). Da diese Schilder leicht beweglich sind, verursachen auch sie Abreibungen an der Rinde. Windereignisse verstärken die Bewegung und Rotation am Stamm und beschleunigen so den Prozess. Deshalb haben Werbeträger jeglicher Art nichts an Jungbäumen zu suchen.

Nicht selten fragen sich Fachleute und selbst Laien gleichermaßen, warum eine Parteienwerbung an einem Jungbaum landet, der selbst zwischen zwei Stützpfählen befestigt ist. Die Pfähle sollen dem Jungbaum in den ersten Jahren Halt geben und schützen indirekt auch vor Anfahrschäden.
Plakatierung 06 Doobe2025 400x533Abb. 6: Geht doch! Befestigung am Holzpfahl - hier sogar am LINKEN - nomes est omen. Foto Doobe, 2025Diese Pfähle wären zweifelsfrei der geeignetere Ort für Plakate, weil sie hier zumindest für den Baum verletzungsfrei befestigt werden können (Abb. 6), allerdings zu Lasten der sensiblen Baumscheibe, die vom Herumtrampeln der Montagetrupps verdichtet wird. Vor diesem Hintergrund haben viele Städte grundsätzlich auch die Stützpfähle für Wahlwerbung gesperrt. Es bleiben aber tausende von Lichtmasten und Info-Pfeilern. Werbeträge an ihnen anzubringen, hätte zudem den unschätzbaren Vorteil, dass selbst die übersehenen und vergessenen Kabelbinder allenfalls ein ästhetisches Problem darstellen.

Plakatierung 09 Doobe20151103 400x550Abb. 7: zerstörte oder vergessene Wahlplakate sind mehr als ein Ärgernis. Foto Doobe, 2015Heute bestehen die meisten Wahlplakate aus Kunststoff oder beschichtetem Karton, die nach wenigen Wochen entsorgt werden sollten. Zwar gibt es mittlerweile Versuche, auf nachhaltigere Materialien umzusteigen, doch die Realität sieht anders aus: Ein Großteil der Plakate landet nach dem Wahlkampf in der Müllverbrennung oder wird nicht ordnungsgemäß abgehängt und zerfällt im Stadtgrün und an den Bäumen. Auch hier sind es die Kabelbinder, die als Einwegprodukt zusätzlichen Plastikmüll hinterlassen.

Abhilfe wird am ehesten auf der Grundlage verbindlicher „Fachanweisungen“ möglich, über die politische Werbung mit Werbeträgern auf öffentlichen Wegen geregelt wird. Darin müssen die Risiken für Bäume klar benannt und die nötigen Regelungen festgeschrieben werden. Über den Schutz der Bäume hinaus können zugleich auch die übermäßige Beanspruchung des Straßen- und Stadtbildes durch Werbeträger begrenzt sowie die Sicherheit des Verkehrs und die allgemeine Gebrauchsfähigkeit des Straßenraums erhalten werden. Viele Städte und Gemeinden gehen inzwischen diesen Weg und erreichen zudem, dass über die Kostenbeteiligung nach dem Verursacherprinzip der finanzielle Druck auf die Kommunen zumindest teilweise reduziert werden kann.


Beispielhafte Vorgaben für das Aufstellen von Werbeträgern an Bäumen

  • Die Werbeträger dürfen frühestens X Tage vor dem Veranstaltungstag aufgestellt werden. Die oder der Berechtigte ist mit Namen und Adresse auf dem Plakat anzugeben. Die Berechtigten haben ihre Werbeträger zu kontrollieren und sie zu beseitigen, wenn sie beschädigt sind. 
  • Die Berechtigten sind für eine ordnungsgemäße und verkehrssichere Anbringung und für die fristgerechte Entfernung der Werbeträger verantwortlich. Die Berechtigten haften für alle Schäden, die durch das oder im Zusammenhang mit dem Aufstellen der Werbeträger entstehen.
  • An Bäumen unter 75 cm Stammumfang dürfen weder Werbeträger noch Plakate ohne Werbeträger befestigt werden.
    Alternativ: An Bäumen dürfen weder Werbeträger noch Plakate ohne Werbeträger befestigt werden. (Damit erübrigen sich alle weiteren Einschränkungen für die Anwendung an Bäumen)
  • An Bäumen sind Werbeträger so zu befestigen, dass die Bäume nicht beschädigt werden. Dabei dürfen ausschließlich Werbeträger ohne kantige Holz- oder Metallrahmen verwendet werden. Sie sind unter Ausschluss jeglicher Verletzungsgefahr für die Baumrinde zu befestigen.
  • Die Verbindung der Werbeträger miteinander hat ausschließlich an den Tafeln selbst zu erfolgen, eine Befestigung am Stamm ist nicht erlaubt.
  • Plakate dürfen nicht ohne Werbeträger direkt an Bäumen angebracht werden.
  • Zulässig aufgestellte Werbeträger sind inklusive ihres Befestigungsmaterials (z. B. Drähte oder Kabelbinder) nach dem Ereignistag (Tag der Wahl, Abstimmung bzw. Veranstaltung) von den Berechtigten zu entfernen.
  • Ohne Erlaubnis oder in einer nicht der Fachanweisung entsprechenden Weise aufgestellte sowie nicht innerhalb der vorgegebenen Frist abgeräumte Werbeträger sind im Wege der Ersatzvornahme oder der unmittelbaren Ausführung auf Kosten des Pflichtigen zu beseitigen.

Plakatierung 08 Fasanenweg Muehlenbrock2015 400x300Abb. 8: Hinterlassenschaft Kabelbinder, entfernt im Straßenabschnitt der Abb. 4. Foto Mühlenbrock, 2015Aber selbst strenge Reglementierungen bleiben bei fehlenden Kontrollen und Vollzugsdefiziten wirkungslos. Deshalb müssen das Schadensmonitoring und natürlich die Beseitigung der verbliebenen Befestigungen und der Schäden sehr ernst genommen werden. Beides wird vielerorts von knappen Kassen oder Personalproblemen ausgebremst. Als unverzichtbare Ergänzung müssen daher Parteien und Öffentlichkeit weiterhin zielorientiert aufgeklärt werden, denn deren freiwillige Weichenstellung wäre sicherlich am erfolgversprechendsten.

Doch auch alternative Werbeformen sind möglich. Politische Parteien und Kandidaten könnten auf umweltfreundlichere Werbeformen setzen. Digitale Kampagnen, gezielte Veranstaltungen oder Plakatierungen an offiziellen Stellwänden sind nachhaltigere Alternativen. Zudem sind viele Wähler längst nicht mehr auf Plakate angewiesen, um ihre Entscheidung zu treffen – Informationen aus dem Internet, Zeitungen oder direkten Gesprächen mit Kandidaten sind oft aussagekräftiger als ein kurzer Slogan auf einem Plakat.

Fazit: Ein überholtes Werbemittel mit vielen Nachteilen

Die Plakatierung an Straßenbäumen ist nicht nur umwelt- und verkehrstechnisch bedenklich, sondern auch eine fragwürdige Verschwendung von Ressourcen. Anstelle einer geordneten und informativen Wahlwerbung dominieren oft überladene, hektisch gestaltete Plakate das Straßenbild. Falsch ausgeführte Plakatierungen an Bäumen verursachen oft folgenschwere Verletzungen. Zudem halten sich manche Parteien nicht an Begrenzungen und plakatieren exzessiv, sodass Kreuzungen, Fußgängerwege und Sichtachsen verdeckt werden. Städte und Kommunen sollten deshalb strengere Regeln aufstellen, ernsthaft kontrollieren und verstärkt auf offizielle Plakatwände oder digitale Formate setzen. Für die gezielte Aufklärung über vermeidbare Folgen von Werbeträgern an Bäumen besteht noch viel Luft nach oben. Kosten entstehen schließlich nicht nur den Werbenden selbst; auch die Beseitigung „vergessener“ Schilder, verbliebener Befestigungen und der Schäden müssen bezahlt werden und belastet in aller Regel die knappen Ressourcen der Grünflächenämter. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein eine immer größere Rolle spielen, sollte auch die Wahlwerbung diesem Wandel folgen.


Plakatierung 07 Doobe2019 866x530Abb. 9: Wahlwerbung im Wandel. Wie sinnvoll sind Plakate an Bäumen? Foto Doobe, 2019