Fünf vor Zwölf für die Rosskastanie ?
Die Rosskastanie (Aesculus) prägt das Hamburger Stadtbild seit Jahrhunderten als Solitär- und Alleebaum. Unter den neun hier wachsenden Arten machen A. hippocastanum und A. carnea zahlenmäßig den Löwenanteil aus. Hervorzuheben ist der besonders hohe Anteil an Altbäumen, weit über 1.000 Rosskastanien sind 100 Jahre oder älter.
Für Deutschland wurde Pseudomonas erstmalig 2007 in Hamburg nachgewiesen. Die sich aus der Infektion mit dem Bakterium Pseudomonas syringae pv. aesculi entwickelnde Komplexerkrankung aller Arten der Rosskastanie hat gravierende Folgen für die Vitalität und Verkehrssicherheit der Bäume. Seit 2013 müssen in Hamburg mit stark ansteigender Tendenz Rosskastanie aufgrund der Komplexerkrankung gefällt werden.
Fällung abgestorbener Rosskastanien einer AltbaumalleeSymptomatik: Charakteristische Anzeichen im Kronenbereich sind schüttere Belaubung, Kleinblättrigkeit sowie Laubaufhellungen, mit zunehmender Erkrankung dann Welkesymptome einzelner Triebe und Äste, wobei anfänglich nur einzelne Äste betroffen sind. Nekrosen und Läsionen an Trieben und Blattstielen, punktförmige, rostbraune Leckstellen bzw. Ausflussflecken im Kronenbereich und am Stamm sowie Längsrisse in der Rinde sind ebenso typische Anzeichen für eine Infektion (WERRES UND WAGNER 2015). Im weiteren Verlauf sterben Kronenpartien befallener Rosskastanien, großflächige Rindenpartien oder ganze Bäume ab und stellen eine Gefahr für den öffentlichen Raum dar. Die Komplexerkrankung nimmt wegen der beteiligten holzzerstörenden Pilzen oft einen sehr schnellen Verlauf. Innerhalb kurzer Zeit können Austernseitling, Spaltblättling, Samtfußrübling und andere die befallenen Bäume besiedeln, wobei sich die Pilzfruchtkörper erst in den Wintermonaten zeigen.
Monitoringkonzept: Je nach Ausmaß der Holzzersetzung können Pilze die Bruchsicherheit stark beeinträchtigen. Mit Blick auf die Verkehrssicherheit ermöglicht eine engmaschige Beobachtung rasches Handeln und senkt das Risiko für die Stadt. In Hamburg ist das Monitoring mit einer Reihe weiterer Ziele verbunden und soll dabei einen Brückenschlag zwischen aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Umsetzung in die tägliche Praxis ermöglichen.
- Ein Schwerpunkt des Monitorings war zunächst die Analyse zur Verbreitungsdynamik der Erkrankung. Grundlage dafür bildete die zeitliche Dokumentation aus der Historienfunktion des Hamburger Baumkatasters.
- Als weiteres Ziel war zu klären, wie verlässlich visuelle Einschätzungen für die Diagnose sind, weil ähnliche Symptome auch zum Beispiel durch Phytophthora spp. hervorgerufen werden können. Nur bei Unsicherheit zum Pathogenverdacht sollte eine Labordiagnostik zur genauen Bestimmung des Erregers notwendig werden.
- Zudem konnte die in den vergangenen Jahren mit umfangreichen Verletzungen verbundene Probenahmemethode soweit optimiert werden, dass sie mit geringstem und oberflächennah entnommenen Gewebeproben auskommt.
Das Rosskastanien-Monitoring wurde als Forschungsvorhaben der Behörde für Umwelt und Energie in Zusammenarbeit mit der Universität Hamburg, dem Pflanzenschutzamt und den Bezirksdienststellen ausgeweitet und umfasste in dieser Phase auch Laboranalytik und die exakte Diagnostik.
Wie schon im Rahmen des Hamburger Ulmenprogramms ist das Monitoring ein fester Bestandteil auch des Hamburger Kastanienprogramms geworden, zunächst im Rahmen des Forschungsvorhabens, inzwischen ergänzt es die Regelkontrollen der bezirklichen Baumkontrolleure.
Im Rosskastanien-Monitoring befanden sich zwischenzeitlich fast 600 Rosskastanien, die mit der Pseudomoas-Rindenkrankheit assoziiert werden. Die Anzahl der Verdachtsbäume und Totalausfälle nahmen in Hamburg stetig zu. Fällungen vorrangig aufgrund der Komplexkrankheit waren 2017 deutlich angestiegen und auch die Prognose für den Winter 2018/19 hatte sich mit dreistelligen Fällzahlen bestätigt. Die einheitliche systematische Einstufung der Befallsentwicklung im Baumkataster wurde 2018 im Rahmen der dritten Reihenuntersuchung an einem größeren Stichprobenumfang getestet. Das Einstufungssystem ist an die Arbeit von FISCHER (2014) angelehnt und wurde in die Praxis umgesetzt. Ein mögliches Überleben von Rosskastanien und die Beobachtung der zeitlichen Abläufe der Erkrankung, in den unterschiedlichen Reifephasen, erfolgte in Hamburg über einen großen Stichprobenumfang. Weitere Pathogene wie Phytopthtora spp. oder die Verticillium-Welke waren ebenfalls Gegenstand des Rosskastanien-Monitorings, aber spielen in Hamburg eher eine untergeordnete Rolle.
Symptom der Komplexkrankheit – großflächig abgestorbene Rindenpartien Von den rund 1.050 Bäumen, die P. syringae pv. aesculi zugeordnet waren, wurden rund 460 Rosskastanien aus Gründen der Verkehrssicherheit gefällt. 2012 hatte sich das Krankheitsbild verändert und mit dem Einwirken unterschiedlicher Sekundärerreger erhöhte sich auch der Kontrollaufwand in der Baumkontrolle (GASIER et al. 2013).
Besonders die Rotblühenden Rosskastanien mit ehemals 1.600 Exemplaren, wurden in Hamburg stark dezimiert. Vor den Fällungen im Winter 2018/19 wurden bereits rund 315 Rotblühende Rosskastanien gefällt und die Zahlen steigen aktuell. Bei der Weißblühenden Rosskastanie sind es deutlich mehr Verdachtsbäume, aber es wurden seit 2013 lediglich 150 Bäume dieser Art aufgrund von Symptomen der Komplexkrankheit gefällt. Neben den direkten Folgen für die Bestandszahlen aufgrund von Fällungen und ausbleibenden Neupflanzungen von Rosskastanien ist in Hamburg auch der Aufwand für die Baumkontrolle gestiegen, denn verdächtige Bäume müssen im belaubten Zustand und im Winter kontrolliert werden, um Pilzfruchtkörper zu erkennen.
Die Hamburger Untersuchungen unterstreichen einen fließenden Übergang der Bakteriose zur Komplexerkrankung, was im Rahmen von Baumkontrollen nur schwer zu erkennen ist. Der Befallszeitpunkt der nachfolgenden Pilze variiert stark und kann Jahre nach der Bakteriose liegen. So liegen Labornachweise von Pseudomonas an Bäumen vor, die viele Jahre ohne Pilzbefall überlebt haben.
Symptom der Komplexkrankheit – ausgeprägtes Myzel unter dem abgestorbenen Rindengewebe
Zudem treten erkrankte und gesunde beziehungsweise symptomfreie Bäume an gleichen Straßenstandorten nebeneinander auf. Deshalb sehen wir frühzeitiges oder sogar vorbeugendes Fällen solange als problematisch an, bis die möglichen Zusammenhänge zum Beispiel mit der genetischen Disposition, aber auch der unterschiedliche Krankheitsverlauf bei Rot- und Weißblühenden Rosskastanien genauer geklärt sind. Damit erhalten wir uns die Chance, vorhandene Potenziale der Bäume, die eine Erkrankung zu überleben, herauszufinden.
Einige Standorte in Hamburg sind oder waren besonders betroffen. Einige HotSpots, wie die Grünanlage Am Johannisland in Harburg, befinden sich nicht mehr im Monitoring, weil dort Ende 2017 die letzten Rosskastanien gefällt wurden. Fast 90 Rosskastanien, die 2007 gepflanzt wurden, mussten in den vergangenen Jahren gefällt werden. Nordwestlich der Alster, um die kulturhistorisch wertvolle Grünfläche Moorweide, ist der Befallsdruck erhöht. Hier steht vornehmlich ein Altbaumbestand mit weißblühenden Rosskastanien. 2018 kam es dort zu den ersten größeren Ausfällen und sechs Bäume mit eindeutigen Symptomen der Komplexkrankheit wurden gefällt, aber ein Großteil der dort vorkommenden Rosskastanien ist bisher nicht erkrankt.
Da in den vergangenen Jahren der Erreger in Hamburg zunehmend an jungen Kastanien mit Symptomen festgestellt wurde, werden seither nur in Außnahmefällen Kastanien im Stadtgebiet gepflanzt.
Bekämpfung und Prophylaxe: Zur direkten Bekämpfung der bakteriellen Erkrankung stehen derzeit keine zugelassenen Pflanzenschutzmittel zur Verfügung. Bei weißblühenden Kastanien ist bekannt, dass vitale Bäume Rindennekrosen vergleichsweise gut abschotten können. Diese Fähigkeit besitzen rotblühende Kastanien (Aesculus × carnea) jedoch nicht in gleichem Maße. Infolgedessen verläuft die Krankheit bei ihnen häufig schwerwiegender, da zusätzlich holzzersetzende Pilze auftreten können.
Die einzige wirksame Maßnahme zur Vorbeugung besteht darin, die Vitalität der Bäume gezielt zu fördern. Dazu zählen insbesondere eine gesicherte Wasserversorgung – vor allem in Trockenperioden – sowie eine ausreichende Nährstoffzufuhr. Ebenso wichtig ist es, zusätzliche Belastungen wie Bodenverdichtungen oder Baumaßnahmen im Wurzelbereich konsequent zu vermeiden.
Die Infektion erfolgt in der Regel über die Baumkrone, wobei das Bakterium durch natürliche Öffnungen oder Verletzungen ins Gewebe eindringt. Die Übertragung erfolgt über verschiedene Vektoren: Neben Regenwasser gelten auch Wind, Aerosole und Wolken als mögliche Übertragungswege. Darüber hinaus können saugende und beißende Insekten, Vögel sowie der Mensch – insbesondere durch unsachgemäße Schnittmaßnahmen – zur Verbreitung beitragen.
Daher wird dringend empfohlen, Schnittwerkzeuge bei Arbeiten an sichtbar infizierten Bäumen regelmäßig zu desinfizieren – beispielsweise durch Abflammen, den Einsatz geeigneter Desinfektionsmittel oder 70-prozentigen Alkohol. Um eine weitere Ausbreitung zu verhindern, sollten bei Pflegemaßnahmen an erkrankten Bäumen keinesfalls dieselben Werkzeuge bei gesunden Bäumen verwendet werden.
Weitere Informationen zum Rosskastaniensterben im öffentlichen Grün finden Sie auch unter folgendem Link des Julius-Kühn-Instituts, dem Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen: