Schatzsuche nach seltenen Baumarten. Bedingt durch die Eiszeiten verfügt Deutschland über eine vergleichsweise artenarme Waldbaumflora. Gegenüber rund 40 Baumarten, die als heimisch gelten, existieren unter ähnlichen Klimabedingungen in Nordamerika etwa 200 Arten und in Asien ca. 800 Arten.
Darüber hinaus wurde die Vielfalt von Baum- und Straucharten nach der eiszeitlichen Rückwanderung durch den Menschen erheblich beeinflusst. Gehölzarten, die nicht den jeweiligen Nutzungszielen entsprachen, hatten bei gleichzeitig abnehmender Waldfläche und Standortgüte das Nachsehen.
Unter genetischen Gesichtspunkten werden jene Baumarten, die mit weniger als 1 % an der Waldfläche vertreten sind, als 'selten' bezeichnet. Sie sind zumeist als verinselte Vorkommen oder Solitäre vorzufinden.
Doch sind selten vorkommende Arten auch gleichzeitig vom Aussterben bedroht? Zunächst ist davon auszugehen, dass mit abnehmender Populationsgröße die Aussterbewahrscheinlich-keit ansteigt. Fehlen genetisch unterschiedliche Paarungspartner, bleibt die Befruchtung aus oder Inzuchteffekte mindern die Überlebens-fähigkeit der Nachkommen - sofern diese noch geeignete Lebensräume finden.
Die genetischen Konsequenzen sehr kleiner Populationen werden daher zunehmend unter-sucht, insbesondere auch um entsprechende Erkenntnisse in die Entwicklung von Naturschutzstrategien einzubeziehen.
Um aus der Seltenheit eine tatsächliche Gefährdung ableiten zu können, unterscheidet die Wissenschaft zwischen verschiedenen Abundanzmustern (Verteilung der Individuen im Verbreitungsgebiet). Berücksichtigt wird dabei das geografische Verbreitungsgebiet einer Art und ob es sich um einen Spezialisten mit besonderen Habitatansprüchen und Anpassungsfähigkeiten handelt. Unterschieden wird hierbei, ob eine Art zumindest in Teilen des gesamten Verbreitungsgebietes häufig ist ('diffuse Seltenheit') oder natürlicherweise im gesamten Verbreitungsgebiet nur in geringen Individuenzahlen ('suffusive Seltenheit') vorkommt. Genetische Untersuchungen in der Schweiz zeigen beispielsweise, dass der Pollen von Elsbeeren weiter verbreitet wurde, als bisher vermutet. Danach müssen räumlich isolierte Bestände oder Einzelbäume nicht notwendigerweise auch genetisch isoliert sein. Die Pollenausbreitung über Insekten und die nachfolgende Verbreitung der Früchte über Säuger und Vögel fördert das Überleben.
Während die zoologischen Wissenschaften in den vergangenen Jahrzehnten intensiv Zusammenhänge zwischen Populationsgröße, genetischer Einengung und Überlebens- bzw. Aussterbewahrscheinlichkeit untersucht haben, ist unser Wissen über dieses Beziehungsgefüge bei Gehölzpopulationen ausgesprochen gering.
Doch das soll sich ändern. Im Auftrag der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) werden für das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) gegenwärtig in einem dreijährigen Projekt wertvolle Vorkommen seltener und gefährdeter Baumarten in Deutschland als genetische Ressourcen über alle Besitzarten einheitlich erfasst und dokumentiert. Über die Bund-Länder-Arbeitsgruppe 'Forstgenetische Ressourcen' sind alle forstlichen Versuchsanstalten der Bundesländer sowie das Institut für Biodiversität Netzwerk e.V. und das Forstbüro Ostbayern einbezogen. Koordiniert wird das Projekt durch das Landeskompetenzzentrum Forst Eberswalde (LFE) und die Humboldt Universität zu Berlin.
Im Focus stehen zehn Baumarten: Flaum-Eiche (Quercus pubescens), Elsbeere (Sorbus torminalis), Speierling (Sorbus domestica), Wild-Apfel (Malus sylvestris), Wild-Birne (Pyrus pyraster), Feld-Ahorn (Acer campestre), Eibe (Taxus baccata), Grauerle (Alnus incana), Grünerle (Alnus viridis) und Traubenkirsche (Prunus padus). Zuvor wurde bereits ein Projekt zur Erfassung der Schwarz-Pappel (Populus nigra) und der drei heimischen Ulmen-Arten (Ulmus glabra, U. minor, U. laevis) erfolgreich abgeschlossen.
Die wichtigsten Vorkommen jedes Bundeslandes werden anschließend genetisch untersucht. Nur so können die genetische Einengung bzw. Vielfalt der Populationen und die regionalspezifischen Besonder-heiten zwischen den Populationen bewertet werden. Im Zusammenhang mit Betrachtungen zur Altersstruktur, Verjüngung und Vitalität sind so Schlussfolgerungen für die mittelfristige Überlebensfähigkeit am jeweiligen Standort möglich.
Erst wenn die Vorkommen seltener Baumarten umfassend bekannt sind, können sie über effektive Erhaltungsmaßnahmen gezielt gefördert werden, u. a. in dem die räumliche Isolation in der Landschaft überwunden wird. Im Bestand können Blüte und Fruktifikation der häufig konkurrenzschwachen Arten über freie Kronen begünstigt werden. Angesichts des unausweichlichen Todes aller Organismen zielen genetische Erhaltungsmaßnahmen immer auf die Mehrung von Genvarianten über möglichst viele Generationen. Eine breite genetische Vielfalt ist eine wesentliche Grundlage für einen Überlebenskampf mit vielen Unbekannten.
Möglicherweise wird die Bedeutung einiger heute noch seltenen Baumarten unter veränderten klimatischen Bedingungen langfristig zunehmen. In diesem Zusammenhang sei an eine goldene Regel der Evolutionsbiologie erinnert: Man solle sich davor zu hüten, etwas nur anhand seines gegenwärtigen Nutzens zu bewerten. Die genetischen Ressourcen unseres Planeten sind eine ökonomische Ressource ersten Ranges. Dies sollte auch langfristig denkende Wirtschaftspragmatiker überzeugen. Die zytostatische Wirkung des Taxols der Eibe ist hierfür ein prominentes Beispiel (in der Krebstherapie seit 1992 zugelassen). Aber auch aus Sicht der Holznutzung gehören einige seltene Arten bereits heute zu den wertvollsten einheimischen Hölzern. Über den ökologischen Beitrag dieser Baumarten für artenreiche, ökologisch stabile Waldbiozönosen kann heute mangels ausreichender Untersuchungs-objekte nur spekuliert werden - er dürfte jedoch immens sein. Der Einsatz für diese Gehölzarten lohnt also in jedem Fall!