Integrierte Planung Blau-Grüner Infrastruktur
Die Forschungseinrichtungen im Projekt Integrierte Strategien zur Stärkung urbaner Blau-Grüner Infrastrukturen (INTERESS-I) haben zusammen mit Fachleuten aus Verwaltung und Wirtschaft sowie der Stadtgesellschaft in Frankfurt und Stuttgart die erforderlichen integrierten Strategien entwickelt und getestet. Aus den im vorliegenden Leitfaden zusammengetragenen Grundlagen, Vorgehensweisen und Fallbeispielen lassen sich für die Übertragung in konkretes Verwaltungshandeln die folgenden sieben Kernaussagen ableiten:
1. Blau-grüne Themen, wie das Regenwassermanagement, die Nutzung alternativer Wasserrssourcen oder die Stärkung urbanen Grüns sind komplexe Planungsaufgaben, die nur dann sinnvoll gelöst werden können, wenn ihnen von Beginn an eine hohe Priorität eingeräumt wird. Sie sind nicht nachgeordnet, sondern bilden vielmehr elementare Eckpfeiler der gesamten Stadtentwicklung. Auf der Ebene der kommunalen Verwaltung gilt es daher, blau-grüne Themen in Planungsprozessen so früh wie irgend möglich zu verankern. Dazu ist eine integrierte Vorgehensweise nötig, die blaue und grüne Ziele definiert und mit vorhandenen Ansätzen der nachhaltigen Stadtentwicklung zu einer Gesamtstrategie verbindet.
2. Die integrierte Planung blau-grüner Infrastrukturen verlangt nach interdisziplinären Teams und Netzwerken. Impulse können und müssen von mehreren Seiten kommen. Denn nur, wenn Probleme und Ziele sowohl auf der blauen wie auf der grünen Seite klar erkannt und kommuniziert werden, kann gemeinsam nach integrierten Lösungen gesucht werden. Die notwendigen Veränderungen bei Planung, Bau und Betrieb lassen sich am effektivsten umsetzen, wenn sie ämterübergreifend, fortlaufend und zielführend diskutiert, erprobt und etabliert werden.
3. Formelle und informelle Verfahren zur Stärkung blau-grüner Infrastrukturen können wirksam verknüpft werden. Freiraumsatzungen, die explizit die Klimawirkung des städtischen Grüns zum Erhaltungsziel erklären, machen die Thematik zu einer stadtweiten Aufgabe mit unmittelbaren Auswirkungen für alle Bewohner:innen. Rahmenpläne mit dem Fokus auf klimaangepasste Stadtentwicklung ermöglichen fundiertes stadtteilbezogenes Planen und Handeln und durch Förderprogramme können konkrete und ortsspezifische Einzelmaßnahmen unterstützt werden. Dabei gilt es, die Kommunikation zwischen Behörden und der Stadtgesellschaft kontinuierlich zu überprüfen, um festzustellen, ob mit den gewählten Kommunikationsformen und -kanälen die adressierten Gruppen auch effektiv erreicht werden. Fazit & Ausblick 84
4. Die städtische Abwasserentsorgung befindet sich durch den Klimawandel, den Siedlungsdruck und gestiegene gesetzliche Auflagen in einem dynamischen Wandel. Nur durch einen neuen Umgang mit Niederschlagswasser kann zukünftig die Stadtentwässerung sichergestellt und eine nachhaltige Stadtentwicklung überhaupt erst ermöglicht werden. Damit können die Belange der Abwasserentsorgung zu einer treibenden Kraft bei der Stärkung und Weiterentwicklung integrierter blau-grüner Infrastrukturen werden.
5. Bei der Anlage und Pflege urbanen Grüns rechtfertigen Einzelmaßnahmen aufgrund ihrer Größe in der Regel keine umfangreiche Recherche nach alternativen Wasserquellen und neuen Lösungen. Wenn in der Umsetzung jedoch auf vorhandene Daten und Infrastrukturen wie Netze und Speicher zur Nutzung alternativer Wasserressourcen zurückgegriffen werden kann, erleichtert das die flächendeckende Umsetzung und nachhaltige Wasserversorgung neuer Grünanlagen und Bauwerksbegrünungen.
6. Im Gebäude- und Grünbestand können durch eine Vielzahl größerer und kleinerer Interventionen blau-grüne Lösungen mit stadtweiter Wirkung etabliert werden. Hierbei ist von besonderer Bedeutung, dass es in der Stadtgesellschaft ein großes Interesse gibt, selbst stärker tätig zu werden. Viele Bürgerinnen und Bürger haben eine hohe Bereitschaft, sich in die Gestaltung und das Management blau-grüner Infrastrukturen einzubringen. Auf dieser Basis ist es beispielsweise möglich, grundstücksübergreifende Kooperationen als eine dezentrale Lösung zur Bewässerung des Stadtgrüns zu etablieren.
7. Eine wichtige Voraussetzung für integrierte blau-grüne Planungsansätze ist, dass die notwendigen Informationen vorliegen bzw. bestehende Informationen zusammengetragen werden. Gleichzeitig gilt es, bestehende Methoden und Verfahren zur Aufbereitung der Informationen weiterzuentwickeln. Um gesamtstädtische Bewertungen zu ermöglichen und die Informationen auch bei Infrastrukturentscheidungen für die kommenden Jahrzehnte einzubeziehen, sollte eine systematische flächendeckende Bestandserhebung des urbanen Blaus und Grüns vorgenommen werden. Derartige Informationen helfen nicht zuletzt, eine Priorisierung vorzunehmen und gebietsspezifische Lösungen vorzuschlagen.
INTERESS-I – Impulse für die Zukunftsstadt
GALK-Kommentar
Der Arbeitskreis Stadtbäume der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz sieht im vorliegenden Leitfaden INTERESS-I zielführende Lösungsansätze, die sich zudem der Herausforderung stellen, dass eine integrierende und optimierende Gesamtschau urbaner blauer und grüner Infrastrukturen schwierig und in der kommunalen Praxis nicht üblich ist.
Weil mit den Grünflächen und Straßenbaumstandorten ausgerechnet die wenigen noch unversiegelten Flächen als Retentionsräume in den Fokus der Siedlungswasserwirtschaft geraten sind und für den Bau von Versickerungsmulden oder Speicheranlagen wie den sogenannten "Baum-Rigolen" in Anspruch genommen werden sollen, wirbt die GALK mit Hochdruck für die u.a. bei INTERESS-I aufgezeigten, vielfältigen Alternativen.
Der AK-Stadtbäume selbst hat mit einem aktuellen Positionspapier "Wassersensible Straßenraumgestaltung - Versickerungsanlagen sind keine Baumstandorte" den laufenden Prozess aus Baumsicht beleuchten. So bieten anstelle sogenannter „Baum-Rigolen“ Parkplätze, Veranstaltungsflächen, Gehwege oder wenig befahrene Straßen, die einen erheblich größeren Teil unserer Städte einnehmen, deutlich effizientere Möglichkeiten zur dezentralen Regenwasserversickerung. Diese Flächen könnten versiegelungsfrei gebaut oder zu multifunktionalen Flächen umgestaltet werden. In Kombination mit leistungsstarken, "echten" Rigolensystemen außerhalb von Baumstandorten entfalten sich die dringend benötigten Potential für die wassersensible Stadtentwicklung.
Der Leitfaden INTERESS-I greift diese Problematik ebenfalls auf und bietet den Kommunen ein breites Spektrum von Lösungsansätzen, um Wasser in der Stadt zu halten und nutzbar für das öffentliche Grün einzusetzen.
- Wasser und Vegetation könnten z.B. mit Hilfe einer kaskadischen Verknüpfung unterschiedlicher Systeme verbunden werden. Dabei können leicht verschmutzte Abwässer direkt vor Ort durch Sumpfpflanzendächer gereinigt und im Anschluss z.B. bodengebundene Grünsysteme wie Bäume und Sträucher mit dem aufbereiteten Wasser bewässert werden.
- Auch durch Abkopplung des Überlaufs von der Kanalisation und dessen Überführung in eine Zisterne, kann zukünftig ein hohes Nutzungspotenzial erschlossen werden. Um das Nutzungspotenzial des Überlaufwassers für trinkwassersubstituierende Grünflächenbewässerung zu verdeutlichen, zeigt die Studie an verschiedenen Punktquellen in Stuttgart auf, wie gering die absolute jährliche Menge in Bezug auf den Bewässerungsbedarf eines ganzen Stadtquartiers ist. Im kleinräumigen Umfeld einer Punktquelle ließen sich damit jedoch eine Vielzahl von Grünelementen bewässern, sofern die Möglichkeit geschaffen wird, überschüssiges Punktquellenwasser zu speichern. So könnten am Beispiel eines Wasserspielplatzes in Stuttgart auf der Basis einer Näherungsschätzung mit dem Überlaufwasser mehr als 200 Bäume oder ca. 1.000 m² Rasenfläche intensiv bewässert werden – weitaus mehr an Grün, als in der unmittelbaren Umgebung vorhanden ist. Bei Wasserspielplätzen und Trinkwasserbrunnen ergibt sich der positive Effekt, dass das Wasser in der Vegetationsperiode anfällt, also dann, wenn es auch tatsächlich gebraucht wird. Das notwendige Speichervolumen dürfte daher in diesen Fällen vergleichsweise gering ausfallen.
- Auf der anderen Seite werden innovative klimaadaptierte Verkehrskonzepte aufgezeigt, welche die für den ruhenden Verkehr benötigten Flächen deutlich reduzieren und die lokale Grauwassernutzung und eine gezielte Verbesserung des Mikroklimas mit der Integration des Regenwassermanagements verbinden. Am konkreten Beispiel werden für 669 Einwohner einer Straße nur 14 Parkplätze vorgeschlagen; im Gegenzug wurden Fahrradstellplätze entlang der Gehwege geplant. Die blau-grünen Infrastrukturen begleiten die Passanten, schaffen Aufenthaltsqualitäten und trennen die Bereiche für Fahrstreifen und Gehweg. Die zuvor zugestellte Straße weicht damit einer grünen Stadtlandschaft. Eine clusterartige Bepflanzung mit Bäumen schafft Schatten und gewährleistet eine gute Luftzirkulation, während Sumpfpflanzendächer die Transpiration und Evaporation mit dem Grauwasserrecycling kombinieren.
"Substanziell mehr Grünvolumen und mehr Kühlwirkung lassen sich nur durch ein Mehr an pflanzenverfügbarem Wasser erreichen". Vor dieser Aussage aus dem Projekt begrüßt der AK Stadtbäume besonders einen Kernaspekt, der sich als roter Faden durch den INTERESS-I-Leitfaden zieht:
"Neben einer ortsnahen Versickerung von Niederschlagswasser sind geeignete Wachstumsbedingungen eine weitere wichtige Grundlage. Insbesondere ist sicherzustellen, dass ein ausreichend bemessener Wurzelraum vorhanden ist, der über ein adäquates Erd- bzw. Substratvolumen möglichst viel Niederschlag aufnehmen und speichern kann."