3. Ausgabe der FLL-Baumkontrollrichtlinien erschienen
Die Ansprüche an die Baumkontrolle wachsen stetig und immer mehr Bäume werden von immer mehr Personen kontrolliert. Andererseits würden übersteigerte und zu komplexe Anforderungen am Ende die Baumkontrolle überfrachten. Vor diesem Hintergrund gibt die FLL (Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V., Bonn) seit 2004 ihre Richtlinien für Baumkontrollen heraus.
Die Vorgaben der FLL-Baumkontrollrichtlinien stehen jedem zur Anwendung frei. Eine Pflicht zur Anwendung kann sich ergeben, wenn sie z. B. im Rahmen einer Dienstanweisung oder im Rahmen von Verträgen mit den ausführenden Firmen für verbindlich vereinbart werden.
An dieser Stelle möchte die GALK einzelne Facetten und Änderungen der aktuellen FLL-Baumkontrollrichtlinien, 2020, vorstellen.
Mit ihrer Überarbeitung wurden die Definitionen von Baumkontrollen, Regelkontrollen und Zusatzkontrollen schärfer herausgearbeitet. Oberbegriff ist die Baumkontrolle, die als Regelkontrolle oder als Zusatzkontrolle (z. B. nach extremen Witterungsereignissen, Schadensfällen, erheblichen Veränderungen im Baumumfeld) erfolgen kann. Dementsprechend wurde auch der Titel dieses Werkes verändert und heißt jetzt „Richtlinien für Baumkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit“.
Die Eingehende Untersuchung wird inzwischen in einem eigenen Regelwerk, den FLL-Baumuntersuchungsrichtlinien, 2013, behandelt. Auch für Wasserstraßen gibt es einen eigenen Leitfaden zur Baumkontrolle (2013). Er steht unter www.bafg.de/baumkontrolle kostenlos als download zur Verfügung.
Rückblick:
Im Mai 2003 hat die FLL auf Anregung der Deutschen Gartenamtsleiterkonferenz (GALK) einen Regelwerksausschuss (RWA) „Verkehrssicherung/ Baumkontrollen“ mit dem Ziel gegründet, für die Praxis ein Regelwerk zur Verkehrssicherungspflicht bei Bäumen zu erarbeiten, das dem aktuellen fachlichen Standard entspricht. Auslöser für den Vorstoß der GALK waren neue Wege der Baumkontrolle, die damals in Hamburg erprobt wurden. Gestützt auf ein dort neu eingeführtes Baumkataster und Kontrollen per Pentop wurden die bis dahin geforderten zweimaligen Kontrollen pro Jahr ausgesetzen und die Bäume stattdessen in einem differenzierten Vorgehen bewertet, das sowohl Standort, Zustand und Alter berücksichtigt.
Ein entsprechendes Regelwerk sollte nun Rechtssicherheit schaffen und bereits zwei Jahre nach der Einführung dieser Richtlinie ergab eine Umfrage zu deren Akzeptanz, dass fast zwei Drittel der Kommunen ihre Baumkontrollen hierauf aufbauend durchführten (Henkel et al. 2007). Die erste Ausgabe FLL-Baumkontrollrichtlinien befasste sich im Wesentlichen mit Einzelbäumen. 2010 erschien die zweite Ausgabe, in der neben wenigen Änderungen und Ergänzungen nun zusätzlich die Kontrolle von Gehölzen im Bestand (z. B. Böschungen an Straßen, Bahnstrecken und Fließgewässern), also den flächigen Baumbeständen, aufgenommen wurde.
Hintergrund:
In der aktuell vorliegenden Ausgabe hat der Regelwerksausschuss von 2017 bis 2019 unter Leitung Prof. Roloff mit dem dazugehörigen Arbeitskreis der FLL die Inhalte auf das Wesentliche der Baumkontrolle beschränkt, um sie auch für Nicht-Baumfachleute und Juristen verständlich zu halten. Zudem wurden Ausnahmen und Sonderfälle weitgehend vermieden, damit die Bedeutung der Kernaussagen stärker im Fokus steht.
Die Baumkontrollrichtlinien schaffen so die Grundlagen, auch bei unterschiedlichen Strukturen und Verantwortlichkeiten qualitativ vergleichbare Ergebnisse in der Baumkontrolle zu erzielen. Zudem geben sie dabei den Kontrollierenden mehr Sicherheit für ihre Entscheidungen. Dies dient indirekt auch dem Baumerhalt, denn wenn Auffälligkeiten und Defektsymptome richtig eingeschätzt werden, müssen auch weniger „vorsorgliche“ Fällungen oder drastische Schnittmaßnahmen beklagt werden.
Da die Baumkontrollrichtlinien für die Gerichte nicht bindend sind, erhalten Ihre Vorgaben erst durch entsprechende Gerichtsurteile eine faktische Bindungswirkung. Die aktuellen Baumkontrollrichtlinien gehen dazu auch auf neuere Urteile aus den Jahren 2004, 2014 und 2017 ein, stellen sie kurz vor und erläutern die Folgen für die Praxis, u.a. für Kontrollen an Waldrändern oder natürliche Astbrüche, die grundsätzlich zu den naturgegebenen und daher hinzunehmenden Lebensrisiken gehören.
Artenschutz:
Mit der Einführung des aktuellen Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) im Jahr 2010 bekam der Konflikt zwischen Baumpflege und Artenschutz neue Nahrung. Die steigenden Anforderungen aus dem Artenschutz haben seither zu Verunsicherungen in der Baumkontrollpraxis geführt und werden deshalb aktuell in einem neuen Unterkapitel „Verkehrssicherungspflicht und Artenschutz“ behandelt. Als Quintessenz gibt es weder einen absoluten Vorrang der Verkehrssicherungspflicht noch einen absoluten Vorrang des Artenschutzes.
Regelkontrollen:
Das umfassendste Unterkapitel des Regelwerkes gilt den „Regelkontrollen“. Hier werden die Faktoren erläutert, die über die Häufigkeit von Baumkontrollen entscheiden. Dies sind nach wie vor die „Berechtigte Sicherheitserwartung des Verkehrs“, der "Zustand des Baumes" sowie dessen "Entwicklungsphase". Beim Zustand des Baumes wird jedoch mehr als bislang auf die Vitalität und verstärkt auf die Besonderheiten alter Bäume eingegangen. Totäste müssen z. B. kein Zeichen für ein baldiges Absterben sein. Die Baumarten werden entsprechend ihrer normalen Lebenserwartung in drei Gruppen eingeteilt: kurzlebige (ca. 80-100 Jahre), mittelalte (ca. 150-300 Jahre) und langlebige (über 300 Jahre) mit Beispielsbaumarten in jeder Gruppe. Dazu gibt es u.a. Ergänzungen, um die Definition der Entwicklungsphasen entsprechend der Lebenserwartung der Baumarten zu schärfen.
Defektsymptome:
Um Regelkontrollen qualifiziert und einheitlich durchführen zu können, ist die Liste über Schäden und Defektsymptome von zentraler Bedeutung und inzwischen die Grundlage vieler Baumkataster. Diese Liste wurde für die neuen Baumkontrollrichtlinien deutlich überarbeitet und mit mehr Begriffen versehen, die nach Krone, Stamm, Stammfuß/Wurzelanlauf und Veränderungen im Wurzelbereich und Baumumfeld untergliedert sind. Die Liste kann allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben und ist im Einzelfall um entsprechende Punkte zu erweitern. Zudem haben nicht in jedem Fall alle Punkte eine Verkehrssicherheitsrelevanz.
Kontrollintervalle:
Die seit Jahren bundesweit kontrovers diskutierten Kontrollintervalle stellen zugleich die bedeutendste Weichenstellung für die Baumkontrolle dar. Definition und Ausprägung der Kontrollintervalle für die Regelkontrolle sind in den Beratungen zu den neuen Richtlinien nur geringfügig verändert worden und behielten im RWA ihre bisherige tabellarische Darstellung. Auf diese Tabelle der Kontrollintervalle, wie sie bereits in der ersten Ausgabe enthalten war, hat die Rechtsprechung in den vergangenen Jahren wiederholt Bezug genommen.
Dokumentationspflicht:
Art und Umfang der Dokumentation in der Baumkontrolle wird in der Praxis viel diskutiert und ist mit der Kontrolle von flächigen Beständen weiter angeheizt worden. Aus den praktischen Erfahrungen der letzten Jahre sowie juristischen Einschätzungen hierzu hat der RWA dieses Unterkapitel entsprechend erweitert. Als zentrale Aussage muss der Nachweis der Abläufe zwingend erbracht werden, damit er in Streitfällen als Beweismittel herangezogen werden kann, dass die Verantwortlichen ihrer Sorgfaltspflicht erfüllt haben.
Grunderfassung:
Regelmäßiger Diskussionspunkt in der Fachöffentlichkeit ist die Baum-Grunderfassung im Rahmen der Baumkontrolle, also die Bestandsaufnahme, die Baumnummerierung sowie der mögliche Einsatz von Softwarelösungen (Baumkataster).
Da der Schwerpunkt der FLL-Baumkontrollrichtlinien auf der Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen liegt, bleiben die Art der Kataster, die Nummerierung sowie die Verwaltung der Daten an dieser Stelle unberücksichtigt. Sie sind zwar Elemente der Baumkontrolle, gehören aber nicht unmittelbar zur Überprüfung der Verkehrssicherheit. Die Grunderfassung soll stattdessen demnächst von der FLL in einem eigenen Werk beschrieben werden. Hier können dann auch Fragen des Datentransfers zwischen verschiedenen Katastersystemen behandelt werden.
Zusatzkontrollen:
Zusatzkontrollen können unabhängig von der Regelkontrolle erforderlich werden und erfolgen anlassbezogen nach extremen Witterungsereignissen, aber auch nach Schadensfällen bzw. erheblichen Eingriffen in den Baum oder das Baumumfeld. Sie müssen nicht in gleicher Intensität wie die Regelkontrollen vorgenommen werden, da dies für die Verkehrssicherungspflichtigen zu einem unzumutbaren Aufwand führen würde, der sogar den Aufwand für pauschale Halbjahreskontrolle noch übersteigt.
Vor dem Hintergrund zunehmender Klimafolgen mit ihren Sturm- und Starkregenereignissen stellt sich aber dennoch die Frage der Zumutbarkeit bzw. Leistbarkeit dieser Kontrollen. Bereits die normalen Regelkontrollen bringen viele Kommunen an ihre Grenzen, weil in der Unterhaltung Personal und Haushaltsmittel fehlen. Nach unvorhersehbaren Schadereignissen zusätzlich einen größeren Baumbestand zeitnah zu kontrollieren, ist vielerorts kaum vorstellbar. Die Kommunen werden sich also dieser Frage gemeinsam mit den Kommunalversicherern und den Gerichte stellen müssen.
Baumuntersuchungen:
Eingehende Untersuchungen sind erforderlich, wenn nach der Baumkontrolle Zweifel über die Verkehrssicherheit (Bruch- und/oder Standsicherheit) und/oder über die zu treffenden Maßnahmen bleiben. Dieses Kapitel stellt den Zusammenhang mit dem zwischenzeitlich erschienenen Regelwerk zur Baumuntersuchung her. Seit 2013 gibt es diese FLL-Baumuntersuchungsrichtlinien.
Anhänge:
Der Anhang A (normativ) wurde vollständig überarbeitet und aktualisiert. Er enthält die Begriffsbestimmungen, die mit den Begriffen anderer Regelwerke der FLL - vor allem mit denen der aktualisierten ZTV-Baumpflege - abgeglichen oder weiter ergänzt worden sind. Auch die unter Normative Verweise genannten Gesetze, Verordnungen, Normen und Richtlinien wurden aktualisiert.
Ausblick:
Zukünftig soll es von Seiten der FLL rund um die Verkehrssicherheit von Bäumen drei Regelwerke geben: zur Grunderfassung, zur Baumkontrolle sowie zur Baumuntersuchung. Diese Aufgaben gehören zwar zu einem Komplex, umfassen aber verschiedene Tätigkeiten, die unterschiedliche Qualifikationen erfordern, meist Bestandteil verschiedener Aufträge sind und die bei falscher Anwendung aus rechtlicher Sicht auch unterschiedliche Konsequenzen haben.
Die Baumkontrollrichtlinien der FLL hat in wenigen Jahren eine große Verbreitung gefunden und inzwischen ist auch im europäischen Ausland, vorrangig in den deutschsprachigen Ländern, Interesse vorhanden. Mit der Überarbeitung der Baumkontrollrichtlinien und mit den verschiedenen Gerichtsurteilen zu Fragen der Baumkontrolle wird sich diese Entwicklung weiter fortsetzen.
Literatur
BVBS, 2013: Leitfaden Baumkontrolle an Bundeswasserstraßen. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Erlass vom 23.08.2013
Dujesiefken, D; Roloff, A. 2020: Die neuen Baumkontrollrichtlinien der FLL – Was hat sich am Inhalt und an der Struktur geändert? In: Dujesiefken, D. (Hrsg.): Jahrbuch der Baumpflege 2020. Haymarket Media, Braunschweig, 143-149
Henkel, R.; Rust, S.; Dujesiefken, D.; 2007: Erste Erfahrungen mit der Baumkontrollrichtlinie – Ergebnisse einer Umfrage zur Akzeptanz und Umsetzung bei den Kommunen in Deutschland. Stadt und Grün 56, 57.59.
FLL-Baumkontrollrichtlinie, 2004: Richtlinie für Regelkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen. 1. Ausgabe. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL), Bonn, 44 S.
FLL-Baumkontrollrichtlinien, 2010: Richtlinien für Regelkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen. 2. Ausgabe. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL), Bonn, 48 S.
FLL-Baumkontrollrichtlinien, 2020: Richtlinien für Baumkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit. 3. Ausgabe. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL), Bonn, 54 S.
FLL-Baumuntersuchungsrichtlinien, 2013: Richtlinien für eingehende Untersuchungen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen. Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL), Bonn, 42 S.
ZTV-Baumpflege, 2017: Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Baumpflege. 6. Ausgabe, Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL), Bonn, 82 S.